Was waren das für Zeiten als die ersten Kurgäste, damlals noch Sommer- und Winterfrischler genannt, die Straßen Freudenstadts säumten. Die Schwaben und da insbesondere die Freudenstädter, für die der Müßiggang ein höchst vedächtige Tätigkeit darstellte, mußten sich erst an diesen Anblick gewöhnen. Und der Stadtschultheiß Hartranft war an diesem Gewöhnungsprozeß maßgeblich beteiligt.

Alfred Hartranft, der ehemalige Justizassessor aus Böblingen, hatte auch gehörige Aufräumarbeit zu leisten. Allein der Marktplatz war eine Ansammlung von Schrebergärten, Löschteichen und Mistenen, den Misthäufen. Die Parzellen waren an die Bürger von Freudenstadt verkauft worden und mußten von der Stadt wieder zurück gekauft werden. Unter den Arkaden, den Bögele, wie die Freudenstädter so schön sagen, hingen die Auslagen der Metzger und allerlei anderes Nötige und Unnötige. Von balsamischen Ausdünstungen war hier keineswegs die Rede, eher vom Geruch nach Mist und Dung.

Der Schultes war nun bekannt dafür, daß er mit Stift und Block ausgerüstet, sich alles notierte, was ihm veränderungs- und verbesserungsbedürftig erschien. Nicht selten zitierte er hierzu seine Freudenstädter Bürger aufs Rathaus und las ihnen die Levitten.

"Gutschl, I han dir schon huntertdausendmol gsait, du sollsch deine Hennen ned under da Arkade laufa lau. Entweder du läsch deine Henna henna dussa naus oder du läsch se gar nemme naus oder se werdat g'metzgad."

Ich seh ihn noch in Straßen oder Gassen,
sie kamen nacheinander an die Reih',
schlank, etwas unter Mittelgröße
zog er mit dem Gelehrtenkopf vorbei.

Er war, wie immer, auf dem Kriegspfade
am meisten haßte er den Schlendrian,
wenn Unverstand der Bürger ihn ergrimmte,
fing er kurz zu knurren und beißen an.

Der Mann mit seinen scharfen Brillengläsern
und mit einem Schnauzbart, wie ihn Nietzsche trug,
er war ein glänzender, geistreicher Redner,
ein heller Kopf in jeglichem Bezug.

Auf seinen ausgedehnten Inspektionen,
Notizbuch, Bleistift waren stets bereit;
er nahm sich Haus für Haus vor, prüfte alles
unzähl'ge Mängel weit und breit.

Besonders zornig war er auf die Misten,
auf Abtrittsschläuche an der Außenwand,
aus denen braune Brühe floß und tropfte,
ein dauernd Ärgernis und Jammerstand.

Es hat bestimmt nicht nach Ozon gerochen,
viel weniger nach Siebenundvierzigelf.
man brachte den Gestank nicht aus der Nase,
noch nicht einmal des Nachts um zwölf.

Ob morgens früh, ob mittags, Vesper,
man hatte die fatale Abtrittsluft.
Es war ganz ausgeschlossen zu entrinnen,
selbst in der Kleidung nistete der Duft.


Holzbeigen und das viele Hausgerümpel,
das kunterbunt vor vielen Häusern lag;
Roßbollen, Kuhmist und in jede Menger
den Hühnerdreck von jedem neuen Tag.

Was ihm mißfiel, das hat er fein notieret.
Der Wanderer durch unsre Freudenstadt.
Dann fand im Rathaus für die armen Sünder
die große Wäsche und Belehrung statt.

Der Stadtschultheiß hielt kurz die Predigt
für die Verstockten scharf und knapp.
Und manche kamen mit hochroten Köpfen
ganz still und leis' die Rathaustrepp' hinab.

"Leicht beieinander wohnen die Gedanken"
doch Denken und das Tun sind zweierlei,
erst nach jahrzehntelangen Kämpfen
begann für Freudenstadt die neue Zeit.

Die Stadt war arm, nur Nagelschmied und Tucher,
dann Kleingewerbe, kläglicher Verdienst.
Da dachte Hartranft an die Hochwaldtannen,
ihr Edelduft bringt sicherlich Gewinnst.

Welch eine Heilkraft liegt hier noch verborgen,
in diesem weiten grünen Wäldermeer,
da werden Tausende Genesung finden,
sie freuen sich auf die nächste Wiederkehr.

Ein Häuflein nur hielt sich an seiner Seite,
die große Mehrheit war darin geeint,
sie sei der ganzen Luftkur, dem Versager,
in jedem Sinn abhold und spinnefeind.

"Luftschnapper" riefen höhnisch schon die Kinder
dem Kurgast nach, der durch die Straßen ging.
Die Alten meinten, werktags zu spazieren
das sei für Faule ein bequemes Ding.

Erst als die Luftkur anfing zu florieren,
als Jahr für Jahr die Zahl der Gäste stieg,
da hüllten sich die Kritiker in Schweigen,
erfochten war der hartumkämpfte Sieg.


Dank denen, die ihm dabei Helfer waren,
Verständnis denen, die ihn hart bekriegt,
keine Mensch, auch Hartranft nicht, ist ohne Fehler,
es ist nur wichtig, daß der Bess're siegt.

Nun sind die alten Kämpfer längst gestorben,
auch Hartranft mit dem großen, weißen Bart.
Gott hat ihm, es war eine Große Gnade
das Untergehen seiner Stadt erspart.

Jetzt ist sie wieder auferstanden,
durch schöne Straßen weht ein frischer Wind.
Was Hirn und Hände hier vollbrachten, schufen
ist rühmenswert für Kind und Kindeskind.

Man sagt, daß Tote wiederkehren werden
zur Lieblingsstätte und der Freunde Schar;
im Geisterreiche magisch angezogen
vom Werk, das ihnen einst das Liebste war.

Sie kommen nachts, wohl um die zwölfte Stunde,
wenn es vom Turm herunter dumpf ertönt;
wo Kirchenglocken ganz von selber läuten
und die Natur in schweren Krämpfen stöhnt.

Seht ihr dann einen Herrn Notizen machen,
das Haupthaar und der dicke Schnauzer weiß,
dann kennt ihr sogleich den Notizenmacher:
"Der Hartranft isch's", der alte Stadtschultheiß.

von Karl Feigenbaum - dem Freudenstädter Stadtdichter und Zeitgenossen Hartranfts
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